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Hilfsstoffe im Wein

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In einer Welt, in der wir immer zahlreicher in grossen Städten leben, fern von echtem Naturbezug, umgeben von Asphaltlandschaften, gelegentlich versetzt mit grünen Inseln in Form von Parks, sehnen sich die allermeisten nach den vermeintlich sicheren Werten althergebrachten Handwerks oder „echter“ Naturprodukte. Wir glauben ganz fest an das nach Reinheitsgebot gebraute Bier, mit einem Ablaufdatum von rund zwei Jahren. Findige Marketingmenschen helfen uns, den Blick weg von der Zutatenliste, hin auf hübsche Bildchen zu richten, die uns eine Utopie des reinen Naturprodukts in unsere Öhrchen säuseln. Schön ist es, dass im Wein gar keine Zutatenliste verborgen werden muss, weil es keine gibt. So kann man sich mit fester Bestimmtheit in dem Delirium wiegen, dass Wein ein sauberes Naturprodukt sei. Zum einen ist Wein eher ein Kulturprodukt und zum anderen wird auch gern mal was anderes in Wein reingekippt als nur Sulfit. (Kleiner Disclaimer: Das Folgende kann in ähnlicher Weise auf andere Produkte angewendet werden, wie bspw. Bier, Brot usw.).

Die Heinzelmännchen des Kellers

Tatsächlich gibt es zahlreiche kleine Helferlein in Form von sogenannten technischen Hilfsstoffen und anderen Zusätzen, die eben nicht auf dem Etikett wiedergegeben werden müssen. Wie viel genau von wie vielen Produkten bei der Herstellung eines Weins zum Einsatz kommt, lässt sich in aller Regel nicht herausfinden. Etliche dieser Produkte können entweder vor der Flaschenabfüllung herausgefiltert werden oder werden derart metabolisiert, dass sie nicht mehr nachweisbar sind. Ausserdem halten die Industrie und auch etliche kleinere Winzer sich eher bedeckt über die Verwendung von Zusätzen, die nicht produktnotorisch sind, wie beispielsweise Zuchthefen für die Gärung oder Sulfite zur „Stabilisierung“ des Weins. Letztere sind freilich per Gesetz ohnehin auf dem Etikett zu erwähnen.

Drin, aber vermutlich nicht so böse

Die Verwendung von Zuchthefen ist per se in keinster Weise verdammenswert. Es sorgt insbesondere bei grossen Mostvolumina für ein sensorisch erwünschtes – andere sagen erzwungenes – Ergebnis. Es ist als würde man über Backhefe versus Sauerteig streiten, also ganz dem Geschmack und der eigenen Philosophie überlassen. Da industrielle Produktionen oft Trauben aus unterschiedlichen Quellen beziehen, anders als Kleinstwinzer, ist eine präzise Bestimmung der stofflichen Zusammensetzung des Mosts nicht gewährleistbar und so müssen Nährstoffmängel bspw. durch Kombinationsprodukte wie Hefenährstoffe ausgeglichen werden. Diese dienen der schnellen Reproduktion und Metabolisierung der Hefen und werden somit überwiegend selbst verstoffwechselt.

Mehr als nur ein bisschen viel

Nun kommen wir zu den weniger bekannten und offensichtlichen Zugaben während der unterschiedlichen Interventionszeitpunkte der Hersteller. Solche nämlich, die als technische Hilfsstoffe gänzlich von der Angabepflicht befreit sind. Es handelt sich dabei um diverse Stabilisatoren, Enzyme, Klärungs- und Filtrationsmittel, Korrekturkomponenten und dergleichen. Mittelchen also, die in der Regel fernab jeglichen handwerklichen Ursprungs sind. Angesichts von rund 50 zugelassenen Zusätzen, können die Mittel hier nicht einzeln abgeklappert werden. Deswegen im folgenden nur eine kleine Auswahl:

Enzyme können schon auf den Trauben kurz vor oder während des Pressens eingesetzt werden. Pektinasen können dafür sorgen, dass die Zellulose der Trauben beim Pressvorgang besser aufgebrochen werden kann und somit mehr Saft, Pigment oder Geschmackskomponenten extrahiert werden. War die Qualität der Trauben bspw. durch Pilzbefall beeinträchtigt, können diese Nebenstoffe durch eine Glukanase im Most abgebaut werden. Diese können gleichsam für mehr Komplexität und ein besseres Mundgefühl sorgen. Laccasen entfernen unerwünschte Phenole. Diese Enzyme werden in Kombination oder einzeln in Puderform verkauft. Weniger Beachtung findet dabei, dass diese Enzyme bis zu ihrem Einsatz stabil bleiben müssen. Nicht selten macht dieses Stabilisierungssubstrat ca. 95% des Puders aus. Man kippt also nicht nur ein reines Enzym in den Wein.

Kupfer (insbesondere Kupfersulfat) zur Korrektur diverser Fehltöne wie dem Böckser.

Sorbat wird unter anderem wegen seiner antimikrobiellen Wirkung als Konservierungsmittel vor allem bei Weinen mit Restsüsse eingesetzt. So fermentiert der Wein in der Flasche nicht weiter.

Dimethylcarbonat wird ebenfalls zur Entkeimung eingesetzt.

Gummi arabicum, ein harzartiges Polysaccharid, sorgt für ein volleres Mundgefühl. Damit wird aus einem etwas wässrigen Wein auf einmal ein schwerer Wein mit viel Körper – zumindest wird man wegen des satten Mundgefühls dazu verleitet.

PVPP (Polyvinylpolypyrrolidon) ist ein Kunststoffgranulat, das für die Farbstabilität sorgt und für eine glasklare Filtrierung sorgen soll. Es wird nach der Anwendung herausgefiltert.

Diverse Klärungsmittel wie Albumin (Hühnereiweiss), Milchproteinderivate, Hausenblase (Fischgelatine), Kieselgur und etliche mehr werden zur Schönung eingesetzt. Die Anwendung von Ei ist seit Jahrhunderten etabliert und ist wohl mit ein Grund für die Eigelb lastigen Süssspeisen wie Cannelés in der Region Bordeaux.

Unterschiedliche Chitine (teilweise aus Pilzen oder Krustentieren gewonnen) werden gegen Brettanomyces eingesetzt.

Aktivkohle aus Pflanzen- und Tierasche funktioniert ähnlich wie ein Schwamm und soll diverse Fehltöne von schlechtem Lesegut absorbieren.

Diverse Säuren (Malische, Laktische Säuren) zum Aufsäuern des Weins vor allem in besonders heissen Jahren. Hierbei geht es nicht nur um Geschmack, sondern auch um die Senkung des pHs. Ist dieser zu hoch, würde noch mehr SO2 zugesetzt werden.

Kalziumkarbonat bewirkt genau das Gegenteil und entsäuert den Wein.

Wem diese Beispiele nicht ausreichen und mehr darüber erfahren möchte, sei die Lektüre der entsprechenden EU-Richtlinie mitsamt aller zugelassener Richtwerte empfohlen (insbesondere der Anhang) und eine weitere Übersicht der OIV. Überraschen darf wohl auch, dass die Mehrheit dieser Art Hilfsstoffe ebenfalls für den „Biowein“ vertrieben werden.

Der liebe Zucker

Ein besonderer Platz sei auch dem lieben Zucker gegönnt. Obschon das BAG darum bemüht ist, den Zuckergehalt in vielen Industrieprodukten zu senken, scheint das beim Wein weniger realisierbar zu sein. Eine bekannte und oft in nördlichen Regionen erlaubte Behandlung ist die Chaptalisation in kalten Jahren. Hierfür wird Zucker von Rüben, aber auch Traubenmostkonzentrat verwendet. Letzterer wird gern auch mal nach der Fermentation und Filtrierung beigesetzt, um wie mit Spachtelmasse jeden restlichen Fehler zu kaschieren und den Wein noch gefälliger zu machen. In Verbindung mit dem süsslich vanilligen Geschmack von Holzschnitzeln wird ein Wein kreiert, der einer grossen Mehrheit schmecken sollte.

Wir kriegen, was wir verdienen

Schlussendlich haben einige dieser Hilfsstoffe auch Vorteile. Holzschnitzel sind günstiger, brauchen weniger Holz für gleich viel Geschmack und lassen sich oft besser dosieren. Das Aufsäuern in heissen Jahren verhindert eine höhere Zugabe von Schwefel. In solchen Fällen mag eine Intervention in der Herstellung durchaus nachvollziehbar sein, insbesondere wenn davon eine Jahreseinkunft eines Winzerbetriebs auf dem Spiel steht. Dennoch bleibt ein Unbehagen, da nicht immer klar sein dürfte, wie diese Produkte im Zusammenspiel auf den menschlichen Körper wirken.

Bei anderen Produkten fällt eine Nachsicht bedeutend schwerer, wenn es bspw. um Enzyme mit Gentech-Ursprung geht. Also Hilfsmitteln, die dem Wein gänzlich jede Natürlichkeit entreissen und die Diskrepanz zur angepriesenen Reinheit und kontrollierter Herkunft vergrössern. Es ist an der Zeit, dass auch in dieser Hinsicht mehr und freier über die Verwendung weinfremder Mittel im Wein gesprochen wird – ohne Scham, denn nur so kann eine Diskussion konstruktiv geführt werden. Technische Hilfsstoffe sind gleichsam ein Kostenfaktor und werden eingesetzt, weil Produzenten sich dazu genötigt fühlen.

Am Ende musst du für dich rausfinden, ob du einen glattpolierten, gäbigen Wein einem anderen bevorzugst, der vielleicht mit etwas mehr Funkiness daherkommt und nicht jedes Jahr gleich schmeckt – und vor allem nicht so süss ist. Der Romantik des Weins soll kein Abbruch getan werden, aber nur dort, wo Romantik auch angebracht ist. Ein Industriewein aus einem Grossverteiler ist auf dem Spektrum, von dem was Wein sein kann, einfach auf einer entgegensetzten Polarität, und das sollte man wissen können.