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Ohne Schwefel muss man wollen

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In erster Linie muss man es wollen – und zwar so richtig. Bedingung um “es” zu realisieren, ist eine hohe Risikobereitschaft, ein grosses Mass an Bescheidenheit und Gelehrsamkeit, ein riesiger Arbeitswille, Verstand für sein Handwerk und viel Einfühlungsvermögen.

Im Willen liegt die Kraft

Als wären diese Anforderungen nicht genug, sind systemische Einschränkungen was die Mengen angeht gesetzt, denn grosse Produktionsmengen sind “sans soufre” noch weniger machbar – es sei denn man setzt andere Industrietechniken ein, wie bspw. die “flash pasteurization” (sehr schnelles Erhitzen und Abkühlen, meist unter Vakuum, des Mosts oder des fertigen Weins). Aber eins nach dem anderen…

Maloche und …

Da SO2 grundsätzlich für zwei Funktionen eingesetzt wird (als Mikrobizid und/oder Antioxidans), muss der Ansatz für einen Wein ohne Schwefelzugaben vielfältig sein. 

Der Winzer muss willens sein, alle möglichen “wilden” Mikroorganismen zuzulassen und alles dafür tun, erwünschte Mikroorganismen bei ihrem Wachstum und ihrer Arbeit zu unterstützen. So können diese gedeihen, bevor unerwünschte Mikroorganismen zu arbeiten beginnen. 

Da eine gesamte Fermentation nicht in straff separierten Stufen abläuft, sondern zahlreiche Entwicklungen parallel oder zumindest überlappend passieren, ist regelmässige Kontrolle und eine angemessene Reaktion unerlässlich. Ebenso unerlässlich ist eine penible Sauberkeit, um jeder  unerwünschten Kontamination vorzubeugen. Das bedeutet jedes Schläuchlein säubern, die Innenseite der Hähne an einem Tank immer ausspülen, etc. Das ist zwar mühsam, aber machbar. So lässt sich zumindest der Aspekt des Mikrobizids halbwegs imitieren. 

…noch mehr Maloche – oder Technik

Was die Antioxidans angeht, nun ja, das ist so eine Sache, da betreffend die Details reichlich viele Meinungen reichlich divergieren. In einem Punkt sind sich die meisten einig: Es verlangt nach einer optimalen und gesunden Fermentation. Die bestmögliche Fermentation lässt sich nicht ins Unendliche skalieren, weshalb sehr grosse Produktionen eher das Nachsehen haben und auf entsprechende technische Ausstattung sowie Zuchthefen angewiesen sind. Die bestmögliche Fermentation ist schlussendlich das Resultat aller vorangegangenen Bemühungen. 

Die Reben müssen optimal mit allen Nährstoffen versorgt werden, schon Monate vor der Lese. Möchte man sich dann die Behandlung des Leseguts mit SO2 sparen, müssen die Trauben in einem tiptoppen Zustand gelesen und bei der Presse ankommen. Es führt also kein Weg um eine Handlese in eher kleinen Kisten herum. So können im Weinberg schon von Essigfliegen angestochene Trauben händisch aussortiert werden und – vom Druck des Eigengewichts geschont – zur Presse befördert zu werden. Das schliesst den Einsatz von Vollerntemaschinen schon mal aus. 

Je nach erwünschtem Endprodukt und Philosophie des Winzers kann ein nur leichter débourbage (natürliche Ausfällung von Schwebstoffen im Most) den Hefen nötige Stickstoffquellen bieten, die wiederum für ein effizientes Metabolisieren benötigt werden. Denn es sind vorwiegend die Hefen, die Schwefelverbindungen herstellen, die somit auch zum Schutz des Weins beitragen können. Gleichzeitig kann eine zu hohe Konzentration von Schwebstoffen zu anderen unerwünschten Reaktionen führen. Gegensteuern kann der Winzer während der Fermentation durch peniblen Schutz vor Sauerstoff, doch muss gleichsam darauf geachtet werden, nicht zu reduktiv zu arbeiten. Eine Reduktion kann dafür sorgen, dass expressive Fruchtaromen unterdrückt werden und der Wein verschlossen bleibt.

E pluribus unum – Einer unter Vielen

Für die weiteren Erklärungen muss jedoch klar sein, dass Sulfit selbst nicht oder nur sehr wenig mit Sauerstoff direkt reagiert. Sulfit reagiert vor allem mit den Produkten einer Oxidation und vermag diese quasi rückgängig zu machen. Dabei werden die Schwefel-Elemente in anderen Verbindungen absorbiert. Sauerstoff reagiert eben lieber mit anderen Stoffen, wie bspw. mit Phenolen, Quinonen, etc.. Diese Phenole können mithilfe anderer sogenannter Hilfsstoffe absorbiert werden, bevor diese oxidieren.

Ein dafür in der Industrie – übrigens auch im Bier – verbreiteter Stoff ist bspw. PVPP (Polyvinylpolypyrolidon). Es gibt weitere, natürlich vorkommende Stoffe, die ebenfalls in der Lage sind den Wein vor übermässiger Oxidation zu schützen, wie z.Bsp. Glutathione (natürlich im Wein vorkommend) oder Ascorbinsäure (als künstliche Zugabe). Wie genau die Kreisläufe solcher Antioxidantien im Wein ablaufen und in welchem Verhältnis sie präzise zueinander stehen, ist noch Gegenstand der Forschung, da die Erforschung eines einzelnen Stoffs in einem derart komplexen System äusserst schwierig und anschliessend nur mässig generalisierbar ist.

Atme langsam

Einige Winzer, aber vor allem Naturwinzer, schwören auf das umfassendere Konzept der stabilisation naturelle, also einer sehr kontrollierten, natürlichen Zufuhr von Sauerstoff – sei dies beim Pressen, wo eine Verfärbung des Mosts in Kauf genommen wird, die sich später meist wieder erholt, oder während als auch nach der Fermentation. 

Denn SO2 bleibt in einer weniger industriellen oder technisierten Vinifikation nur eines der möglichen Mittel unter vielen anderen. Das selige Gleichgewicht zu finden, bleibt wohl die Kunst jener Winzer, die es auch ohne künstliche Zugaben schaffen. Allerdings mit der Konsequenz von Weinen mit weniger Alkohol, viel weniger Restzucker und teilweise höheren Säuren.

Die Krux mit dem Schwefel

Die häufig erwähnten körperlicher und gesundheitlichen Reaktionen auf Weine mit höheren Schwefelzugaben sind in der Forschung nicht sonderlich gut oder zumindest nicht besonders empirisch belegt und erklärt. Vergleicht man indes den durchschnittlichen Schwefelgehalt eines Hühnereis (ca. 180mg/100g, also ca. 2 mittlere Eier), mit den maximal zulässigen Grenzwerten an Schwefel im Weisswein von 200mg/l, dann hat man an Ostern meist schon mehr Schwefel mit Eiern intus, als mit einer ganzen Flasche Wein. Hier gilt jedoch zu beachten, dass es sich bei den Schwefelzugaben, meist um ein Industrieprodukt handelt. Für Menschen, die belegte Probleme haben mit stark schwefelhaltigen Lebensmitteln, sieht die Sache natürlich ganz anders aus. 

Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass Hersteller, meist in der Industrie, die bisher stark schwefeln, ebenso gern auf andere önologische Hilfsmittel zurückgreifen. Kreuzreaktionen sind daher nicht auszuschliessen, aber eben immer verschieden von Wein zu Wein und gleichsam nur schwer nachzuvollziehen. Die übliche Frage mit dem Schwefel und dem Kopfweh ist ebenso wenig belegt, denn auch für diese Beschwerden können andere Stoffe verantwortlich sein, wie Histamine oder Oxidations- und Reifeprodukte, wie sie bspw. in sehr alten Weinen vorkommen, Acetate etwa.

In Summa

Es ist verständlich, dass viele Winzer und insbesondere die Industrie nicht auf den Einsatz von Sulfit verzichten möchte. Wenn es nur bei Sulfiten bleiben würde, wäre die Chose auch halb so schlimm. Denn es werden noch zahlreiche andere Hilfsstoffe – vornehmlich in der Industrie – eingesetzt, die leider nicht auf dem Etikett stehen müssen. Sulfit ist unter allen weitaus am meisten im Bewusstsein und daher auch mit am besten reglementiert. Doch wenn man immer gleiche Weine aus Supermarktregalen, den ganzen Tag im Neonlicht stehend, in überheizten Räumen auf den hastigen Griff eines Kunden wartend, immer zur Verfügung haben möchte, dann führt kein Weg an Sulfit und anderen Hilfsstoffen vorbei. 

Lebendiger Wein klingt daneben schon viel überzeugender, verlangt aber wie alles Lebende nach mehr Verständnis und Geduld. Die Einfühlsamkeit des Winzers wird eben auch vom Konsumenten abverlangt, wenn Weine ohne oder mit möglichst wenig Sulfit und anderem Zeug auskommen sollen.

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