Zum Inhalt

Terroir breeds Terroir I – Vitis Vinifera

  • Facts

Kennst du das, wenn Leute von ausufernden Konzepten sprechen, dabei Worte benutzen, die vor Gravitas nur so strotzen. Die Wortwahl soll oft sicherstellen, dass vor allem die Tragweite des Gesagten wahrgenommen wird – obschon das Verständnis des Inhalts diesem Gehabe als Erstes zum Opfer fällt. „Terroir“ kann getrost zu diesen strotzigen Worten gezählt werden, dabei ist das Konzept dahinter unendlich spannend, was leidlich untergehen kann. Anlass genug, diesem nur schwer fassbaren und doch allumfassenden Konzept eine ganze Serie zu schenken.

Die heilige Dreifaltigkeit des Weins

Sehr grob lässt sich Terroir in eine Art Trinität von Pflanze, Ort und Mensch zusammenfassen. Es ist die Wechselwirkung von diesen drei Entitäten, die das Terroir eines Weines ausmachen. Einige reduzieren die Elemente nur auf den Ort und ggf. noch den Menschen. Doch scheint das eher kurz gegriffen. Damit jedes Drittel des Ganzen eingehend verstanden werden kann, müssen wir uns einem Teil nach dem anderen nähern. Um mit dem Wesentlichen zu beginnen, schauen wir uns diesmal die Rebe mal genauer an. Immerhin ist sie der Ursprung selbst.

Die Natur der Rebe

Die Rebe wird zu den Lianengewächsen gezählt und ist ursprünglich eine parasitenähnliche Pflanze. Sie benutzt bereits gewachsene Pflanzen oder andere bestehenden Strukturen, um sich an ihnen hochzuhangeln, statt selbst einen stabilen Stamm zu bilden und fängt mit üppigem Laubwerk möglichst viel Sonnenlicht ab. Wenn sie jedoch auf dem bereits durchwurzelten Boden Fuss fassen will, muss sie ihre Art zu wurzeln entsprechend anpassen. Um sich mit dem benötigten Wasser und anorganischem Material zu versorgen, bildet sie besonders tiefe Wurzelgeflechte, denn die meisten Pflanzen wurzeln vorwiegend in der obersten Erdschicht. Reben hingegen können in hohem Alter und je nach Untergrund eine Wurzeltiefe von 20 m und mehr erreichen.

Die Verbreitung der Rebe findet durch den Verzehr der Traubenkerne, insbesondere durch Vögel, statt. Dabei muss die Pflanze sicherstellen, dass die Traube genau dann reif ist, wenn es die Kerne auch sind. Das scheint mit die Ursache zu sein, warum der Reifegrad einer Traube an ihrer äusseren Pigmentierung abzulesen ist, als auch an der Farbe der Kerne. Die Reife der Traube wird in zwei Aspekten ausgedrückt: Zuckerreife (Maturation) und physiologische Reife. Beim Zustand der Maturation wird die Zunahme des Zuckers beobachtet, wobei die physiologische Reife (auch phenolische genannt) die Veränderung der Tannine, anderer Phenole und Aromakomponenten beschreibt. Gewinnt die Traube an Zuckergehalt und verliert ihre Bitterkeit und unangenehme Säure, die sie vor zu frühem Verzehr bewahrt hat, wird sie erst von Vögeln gefressen und somit verbreitet. 

Für Winzer ist die Kenntnis dieser beiden Merkmale ausschlaggebend für die Bestimmung des Alkoholgehalts und der späteren Aromatik des Weins. Marc Castan bspw. verzichtet bei einigen seiner Weine ganz bewusst auf eine ausgeprägte Vollreife der Maturation und bevorzugt eine optimale phenolische Reife, um einen zu hohen Alkoholgehalt abzuwenden.

Ein Rebstammbaum

Woher kommen die Reben? Nun, das hängt davon ab, von welchen man spricht. Für die Weinbereitung werden in den weit überwiegenden Fällen Trauben der domestizierten Form vitis vinifera benutzt. Vermutlich wurden vor rund 7.000 bis 10.000 Jahren im Kaukasusgebiet durch Selektion – was damals eher trial and error entsprach – wilde Reben (vitis sylvestris) nach den eigenen Bedürfnissen kultiviert. Eine wesentliche Veränderung während der Selektionsphase, war die Bevorzugung von hermaphroditen Pflanzen, d.h. an einer Pflanze befinden sich männliche und weibliche Organe. Aus diesem Grund ist die heutige vitis vinifera selbstbestäubend, was bei der Monokultivierung erhebliche Vorteile hat. 

Warum wurden gerade Reben für die Weinproduktion genutzt? Das liegt an dem hohen Zuckergehalt der Trauben und dem gleichzeitig niedrigen pH-Wert des Safts. Trauben sind die zuckerreichste Frucht in unseren Breitengraden und der tiefe pH sorgt für eine sehr sichere Fermentation des Mosts.

Wenn Stammbäume sich kreuzen

Weitere rund 78 Vitis-Arten sind bekannt und über Asien, Europa und Nordamerika verteilt. Insbesondere die nordamerikanischen Reben wurden in Europa wichtig, denn sie bilden auch heute noch den Wurzelstock der europäischen Rebsorten. D.h. so gut wie jeder Rebstock in Europa besteht aus einer amerikanischen unteren und einer aufgepfropften europäischen oberen Hälfte. Grund dafür waren die verheerenden Schäden durch die aus Amerika eingeschleppten Reblaus, gegen welche die meisten amerikanischen Arten resistent waren. Durch die Resistenz der amerikanischen Wurzeln wurde die Gefahr der Reblaus gebannt.

Der wahre Charakter

Sich den Ursprung und die Natur der Pflanze vor Augen zu halten ist insofern essentiell, als dass nun deutlich wird, warum diese mehrjährige Pflanze so lange Triebe bildet, wenn man sie ranken lässt. Sie sichert die optimale Photosynthese und bietet die Früchte den optimalen Samenverteilern an. Ebenfalls erklärt es das Vermögen in sehr trockenem Klima und armen Böden gut überleben zu können. Dieses Kernverhalten erhält sich in vielen Aspekten bis heute und bestimmt die Arbeit des Winzers. Das spezifische Verhalten wird jedoch auch durch die Varietät und ggf. den Klon bestimmt. Ja, es gibt nicht nur unterschiedliche Rebsorten, sondern auch innerhalb einer Rebsorte Klone derselben. Durch die Selbstbestäubung sind Reben sehr mutationsfreudig und können sich schnell an örtliche Begebenheiten anpassen. So bestimmt die Rebsorte, für welches Anbaugebiet sie geeignet ist, bspw. aufgrund ihrer frühen oder späten Reifephase, oder des Erhalts eines hohen Säuregehalts trotz hohem Zuckergehalt. In einem zweiten Schritt wird sich die Rebsorte wiederum an den Anbauort anpassen müssen, was wieder zu einem eigenen Klon führen kann. So bildet sich eine Wechselwirkung von Pflanze und Ort ihres Anbaus – insbesondere dann, wenn in unmittelbarer Nähe andere Rebsorten stehen, denn, genau: Selbstbestäuber, alle können quasi mit allen. Liest du also von einer Rebsorte auf einem Etikett, muss das nicht heissen, dass der Klon auch der gleiche ist.

The Mamas and the Papas

Bei Zuchtsorten beginnt alles mit einer Mutter- und einer Vaterpflanze. Zahlreiche zeitgenössische Rebsorten sind daher untereinander verwandt. Etliche Rebsorten haben bspw. Heunisch (auch Gwäss oder Gouais genannt) als Mutter, wie Riesling, Chardonnay oder Gamay. Ja, auch mit einer „weissen“ Mutter kann ein rotes Kind entstehen, denn die Traubenfarbe ist häufig eine Ausprägung je nach Klon. So sind streng genommen Pinot Blanc, Noir und Gris eigentlich Klone der Varietät Pinot. Und um die Sache noch komplizierter zu machen, können ebenfalls Klone eines einzelnen Klons entstehen. Echte Liebhaber unterscheiden deswegen zwischen Pinot Noir von Burgunder Klonen, Mariafeld, Wädenswil oder Martini. Sie unterscheiden sich im Wuchs oder in der Grösse und Anordnung der Trauben – einige sind lockerbeerig, andere nicht. Hier ergeben sich schöne Ideen für lustig lehrreiche Weinabende. Die unglaubliche Diversität schlägt sich auch in der Namensgebung nieder, weswegen gleiche Rebsorten andere Namen in unterschiedlichen Gebieten haben, wie Malbec (in Argentinien oder Cahors) in der Loire auch Côt genannt wird.

Doch auch andere Eigenschaften wie Pilzresistenz, wie viel Energie die Pflanze in das Ausbilden der Triebe steckt und ganz besonders die Reifezeit sind für den Anbau ausserordentlich wichtig. Baut ein Betrieb bspw. Pinot und Riesling an – eine eher frühreife Rebsorte und eine sehr spätreife –, kann die Arbeit bei der Lese mit weniger Leuten über eine längere Zeit verteilt werden. Ist alles gleichzeitig reif, gibt’s ein Haufen Arbeit auf einmal. Das geht natürlich nur, wenn die klimatischen Bedingungen das zulassen. Doch auch alle anderen Eigenheiten bestimmen den Jahresarbeitsplan eines Winzers ganz erheblich – und das beruht alles auf dem ursprünglichen Dasein der wilden Rebe, die sich in ihrer domestizierten Form, je nach dem, wann sie durch wen an einem Ort angesiedelt wurde, anders verändert hat.

… avec un grain de raisin

Sich beim Kauf eines Weins allein auf die Rebsorte verlassen zu wollen, erscheint nahezu töricht angesichts der erschreckend breiten Vielfalt von Rebsorten und Klonen. Gefallen, tun einem meist die primären Geschmacksnoten der jeweiligen Rebsorte, doch die wahre Herkunft genau dieser Rebe in dem spezifischen Wein erschliesst sich durch die Feinheiten, die du daneben schmecken kannst.

Wenn du also nächstes Mal durch einen Weinberg schlenderst oder den Finger beim Stöbern in einer Weinkarte die Zeilen zählen lässt, sei dir bewusst, dass die Herkunft des Weins auch immer von der Herkunft der Pflanze und der Verbandelung mit ihrem Ort sowie ihrer Geschichte bestimmt wird. Wie genau der Ort sich in einem Wein manifestiert, das sehen wir dann nächstes Mal.

 

Empfehlung