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United Colors of… Weisswein

  • Facts

Es ist schon eine ganze Weile her, dass Sascha und ich feststellen mussten, dass wir beide immer öfter von der Lust auf Weisswein gepackt werden. Auf der Heimfahrt von einer Fachmesse in Nordfrankreich, angeödet vom Ausblick auf den immer grauen Asphalt einer beliebigen französischen Autobahn, liessen wir Revue passieren, was uns bei der harten Degustationsarbeit so alles aufgefallen ist. Wir kamen nicht umhin, die Vielfalt in Weiss zu konstatieren, sei es im stillen Wein wie im lauten Schaumwein, von leicht restsüssen Weinen bis zum honigsüssen Dessertwein. Die Verwunderung, warum in der Schweiz der Ruf des Weissweins, ihn zu einer blossen Notwendigkeit während eines Apéros deklassiert, beschäftigt mich noch heute. Ausser bei Käsegerichten wie Fondue oder Raclette schmachtet der Weisswein ein Dasein, das bloss auf die Ouvertüre eines Abends beschränkt ist. Dabei können auch üppige Hauptspeisen problemlos mit Weissweinen begleitet werden.

Äs Finöggeli?

Offensichtlich verfügt ein klassicher Weisswein nicht über die Tannin und Extrakt bedingte Wucht eines fetten Rotweins, denn anders als Rotwein wird Weisswein ausschliesslich aus dem Saft hergestellt. Das klingt erstmal einfach, ist jedoch meist eine bedeutend filigranere Arbeit, als bei der Rotweinherstellung. Wie mir mehrere Winzer attestierten, ist es schwieriger richtig guten Weisswein herzustellen als Rotwein. Durch die Maischegärung erhält ein Rotwein nicht nur seine blosse Farbe durch das Pigment Anthocyan, sondern auch seine Gerbsäuren aus den Häuten und Kernen, welche gleichsam für zahlreiche natürliche Antioxidantien sorgen, die dem Weisswein damit fehlen. Damit ist die Fermentation des weissen Mosts im allgemeinen etwas einfacher, macht aber alles Folgende bedeutend schwerer. Darüber hinaus ebnet das fehlende Tannin die Möglichkeit für Essensbegleitungen, die sonst nicht gefahrlos zu bewerkstelligen sind, wie bspw. mit Blauschimmelkäse, Gerichten mit Kokosmilch oder aber Gemüsegerichten, die selber schon über Bitterstoffe verfügen, wie Chicorée oder Spargel. Unmöglich ist eine Kombination mit Rotwein nicht, aber eben nicht ohne ein relevantes Risiko. 

Weisse Trauben, aber nicht nur

Die allermeisten Weissweine werden aus weissen Trauben hergestellt – aber nicht nur. Die bekannteste Ausnahme dürfte der Champagner sein. Hier werden für die Grundweine auch rote Rebsorten, wie Pinot Noir, verwendet. Hierfür werden die roten, weissfleischigen Trauben (mit sogenannten cépage teinturier oder Färbertrauben geht das nicht, sie haben ein rotes Fruchtfleisch) ohne Maischegärung direkt abgepresst. Ein solcher “Blanc de Noir” wird gelegentlich auch als stiller Wein abgefüllt. 

Ein Winzer hat bei der Herstellung mehrere Entscheidungen zu treffen, je nachdem welche Rebsorte er anbaut, wo sie gewachsen ist und natürlich, was das Endprodukt sein soll. Wie immer ist die Reife der Trauben und das Mostgewicht (der Zuckergehalt des Mosts) eine Entscheidungsgrundlage, denn diese bestimmen schon im Voraus etliche mögliche Charakterzüge. Sind die Trauben einmal gelesen und entrappt (also die Stiele der Trauben entfernt), hat der Winzer die Möglichkeit eine Kaltmaische anzusetzen. Dabei muss er darauf achten, dass das Ganze nicht zu gären beginnt, da sonst Tannine, Pigmente und vieles mehr (vgl. Beitrag zu vins oranges) in den Wein übergehen. Das Resultat einer Kaltmaische kann je nach Rebsorte variieren, verleiht dem fertigen Wein häufig ein stoffigeres Mundgefühl – also etwas strukturierter in der Konsistenz –, und gibt weitere Geschmacksstoffe in den Most ab. 

Das klingt im ersten Augenblick ganz hervorragend, birgt jedoch das Risiko, dass viele Phenole in den Most übergehen, was den späteren Prozess erschweren kann. Eine präzise Kontrolle der Temperatur und weiterer Parameter ist unerlässlich.

Weisswein im Glas

Und immer wieder der olle Sauerstoff

Für die überwiegende Mehrheit der Weissweinherstellung gilt ein sehr genaues Management der Temperatur und vor allem des Sauerstoffkontakts. Denn wie oben erwähnt verfügt ein weisser Most nicht über die Menge an Antioxidantien wie ein roter. Dies ist mit ein Grund, warum unterdessen die allermeisten Weissweine in Inox-Stahltanks vergoren oder ausgebaut werden und darüber hinaus höhere Maximalwerte für zugegebenes SO2 für Weissweine erlaubt sind. Wird der Sauerstoffkontakt also nicht gut gehandhabt, können die Weine als Konsequenz überschwefelt sein und/oder stark reduktiv oder oxidiert sein. Sensorisch macht sich eine Reduktion durch leicht kohlige, knoblauchige, unangenehm schwefelige Aromen bemerkbar. Allerdings ist ohne die konsequente Kontrolle des Sauerstoffkontakts ein angenehm strukturierter, mineralisch und doch fruchtiger Wein nicht möglich. Ebenfalls kann ein gut regulierter, reduktiver Charakter bestimmend sein für die Stilistik eines Winzers oder gar einer ganzen Region – mit zuweilen hervorragenden Weinen.

Geknüppelter Wein

Was ist aber mit Weissweinen, die nach erfolgreicher Gärung (also alkoholischer und möglichem biologischem Säureabbau, auch malolaktische Gärung genannt,) oxidativ in Holzfässern ausgebaut werden? Nicht zuletzt wegen des finanziellen Aufwands werden in der Regel hochkarätige Weine im Holz ausgebaut. Um den Sauerstoffaustausch durch das halbdurchlässige Holz zu regulieren, können die noch im Wein befindlichen Feinhefen am Boden des Fasses wieder in Suspension gebracht werden. Klingt kompliziert, ist hingegen technisch recht einfach. Der Winzer nimmt hierfür einen Holzstock und rührt das Ganze durch. Abgeleitet vom französischen Wort für Knüppel oder Stock “bâton”, nennt sich das “batônnage”. Wie oft und wie heftig ein Winzer das macht, muss er mit viel Feingefühl und Erfahrung entscheiden. Zu viel bâtonnage kann für einen – noch jung genossen – eher verschlossenen Wein sorgen. Wird ein Wein jedoch zu stark der Oxidation überlassen, kann er unangenehme Fehltöne bilden, ferner das Ganze bisweilen fad und müde schmecken lassen. 

Oh süsser Wein

Bis anhin ist nur von trockenen Weinen die Rede gewesen. Doch Weisswein kann auch restsüss bis süss sein. Vielfach haben diese Weine einen schlechten Ruf – manchmal ein bisschen verdient, manchmal aber eben auch nicht. Vom einfachen lieblichen Massenweisswein bis hin zu einem Sauternes des Château d’Yquem für drei- bis vierstellige Preise pro Flasche ist alles möglich. Die einfacheren restsüssen oder lieblichen Weine werden bspw. durch ein starkes Absenken der Temperatur an einer kompletten Fermentation gehindert und anschliessend stark filtriert und/oder geschwefelt. Daher sind diese, nicht selten einfacheren Weine eher niederprozentig, da nicht aller Zucker in Alkohol metabolisiert werden konnte. 

Einiges aufwändiger produziert werden zum Beispiel Eisweine, welche derart hohe Zuckergehalte aufweisen, dass nicht der gesamte Zucker von der Hefe metabolisiert werden kann, da die immer alkoholreichere Umgebung die Hefen in ihrer Aktivität hemmt. Dies sind nur wenige Beispiele in einem Geschmacksspektrum des Weins, den zu entdecken sehr zu empfehlen ist.

Ein Regenbogen in Weiss

Wie du siehst, deckt Weisswein vom einfachen bis komplexen Wein, in trocken oder süss, aus roten oder weissen Trauben, mit oder ohne Sprudel, in Kaltmazeration oder Direktpressung, mit oder ohne Bâtonnage, mit oxidativem oder reduktivem Ausbau ziemlich viel ab und verlangt so einiges von seinem Hersteller ab. Und so verstehst du, warum Sascha und ich damals derart überwältigt waren von der Vielfalt; dass uns Weisswein eben nicht mehr so monochrom vorkam, wie er leider häufig und lapidar abgebildet wird.

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