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Terroir breeds Terroir II – locus

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Nicht nur uns Menschen prägt der Ort, an dem wir aufgewachsen sind. Reben werden mindestens ebenso sehr von ihrer unmittelbaren Umgebung geprägt und damit auch die Weine, die  aus ihren Früchten entstehen. Doch was ist ein Ort eigentlich genau aus Sicht einer Rebe und wie beeinflusst die Umgebung das Endprodukt Wein? Begeben wir uns auf die Begegnung mit dem physischen Innenleben einer Rebe und ihren Wurzeln – buchstäblich.

Eines Morgens wachtest du auf und stelltest fest, dass du eine Rebe warst

Die grundlegenden Fragen, die eine Rebe zu ihrem Standort beschäftigen: von was sie wie viel wann bekommt – am besten noch angepasst an ihren Vegetationszyklus –,  damit sie wachsen und Früchte bilden kann. Einige Reben brauchen länger, bis ihre Trauben vollreif geerntet werden können, bspw. Riesling (eine spätreifende Sorte), andere sind bedeutend früher reif, wie Chasselas. Es gibt zahlreiche Varietäten und Klone von vitis vinifera mit diversen Eigenschaften, die ihr Gedeihen an einem Standort begünstigen, inklusive der erwünschten Qualitäten ihrer Früchte. Doch Standorte sind nicht nur ein Punkt auf einer Karte. Diesen Punkt solltest du eher als vertikale Linie verstehen, der drei Lagen durchschneidet: das lokale Klima, die Topografie und Geologie. Schon ein paar Meter Abweichung von dieser Linie können einen grossen Unterschied machen. Etwas, das du auf grossen Maisfeldern beobachten kannst, wenn eine Gruppe von Pflanzen prächtig in die Höhe schiesst und einige Meter weiter andere nur zögerlich zu wachsen scheinen. Die Fachliteratur zu diesem Thema teilt die Hauptfaktoren in Lufttemperatur (Klima), Sonnenbestrahlung (Klima), Stickstoffverfügbarkeit (Geologie) und Wasserverfügbarkeit, welche sich zusammenstellt aus Wassergehalt im Boden (Geologie), Verdunstung (Klima) und Niederschlag (Klima). Eine Rebe braucht also einen Ort, an dem sie Sonne, Wasser sowie Nährstoffe bekommt (Photosynthese) und sich dabei wohl fühlt (und nicht krank wird), weil die Temperaturen stimmen und sie gut gepflegt wird. Um die Pflege kümmern wir uns aber ein anderes Mal.

Das gute Arbeitsklima

Wie versorgen sich Reben, wenn sie doch auf eher kargen Böden kultiviert werden? Und wie kommt wie viel Wasser zur Wurzel? Das hängt erstmal von der Verfügbarkeit durch Regen ab, also den makro- und mikroklimatischen Bedingungen. Grundsätzlich unterscheidet man mediterranes, kontinentales (bspw. Bourgogne) und maritimes (bspw. Bordeaux) Makroklima – das Klima einer grösseren Region. Es gibt durchaus Unterschiede zwischen einem mediterranen Makroklima in Kalifornien zu einem in Südfrankreich. Die mediterranen und maritimen Klimata zeichnen sich durch einen ausgeglicheneren Temperaturverlauf aus, wobei kontinentales Klima starke Unterschiede verzeichnet – also eher heisse Sommer und kalte Winter. Die mikroklimatischen Bedingungen ergeben sich aus den makroklimatischen, allerdings sehr spezifisch für eine Parzelle oder einen Hang.

Aqua vitae

Prasselt der Regen genüsslich auf unsere Reben, entscheidet nun die Oberfläche auf der sie verwurzelt sind. Ist die Oberfläche sehr steinig und steil, der Untergrund sehr dicht, dann wird der Regen schnell abfliessen. Die Umgebung spielt dabei ebenfalls eine grosse Rolle, denn bspw. ein Waldstück am oberen Ende eines Steilhangs kann wie ein Wasserspeicher inkl. Filtration funktionieren und die Reben in den unteren Bodenschichten mit Wasser versorgen. Manchmal ist es jedoch genau anders rum und die oberste Schicht nimmt das Wasser gut auf. Die unteren Bodenschichten können dann das Abfliessen oder gar Stauen von Wasser beeinflussen. Manchmal ist Stress durch ein moderates Wasserdefizit auch förderlich für die Bildung von mehr Anthocyanin oder einer höheren Tanninkonzentration. Doch die Rebe hat nicht nur Durst, sondern auch Hunger.

Flüssignahrung

Pflanzen benötigen ebenfalls Nährstoffe, wie Stickstoff und Mineralien (Zink, Magnesium, Kalium, etc.). Diese beziehen sie aus dem Boden, aber nur, wenn sie durch Wasser gelöst werden können – und das in Relation zum Vegetationszyklus der Pflanze und beeinflusst durch den pH-Wert des Bodens (zu sauer und es bilden sich wachstumshinderliche Salze). Zu gewissen Zeitpunkten, wird eine Rebe mehr Stickstoff oder Mineralien brauchen als zu anderen Momenten ihres Zyklus. Da es sich beim Rebbau um eine mehrjährige Kultur von tiefwurzelnden Pflanzen handelt, ist die Zusammenstellung des Untergrunds entscheidend. Sie kann eben nicht durch den Menschen verändert werden und beeinflusst das Endprodukt Wein erheblich. Die Kreideböden, wie man sie in der Champagne oder dem Chablis findet, sorgen für körperreiche und doch spritzig-zitrussige Weine. Einige Winzer bevorzugen eine gute Schicht Kalkstein, denn sie ist porös, speichert Wasser gut ohne es zu stauen. Lehm ist ebenfalls häufig anzutreffen und sorgt für eher körperreiche Weine. Die Vielfalt der unterschiedlichen Typen ist jedoch einfach zu gross, um hier alle zu nennen. Ein umfassende Liste findest du hier.

Kalte Füsse…

Die Bodenbeschaffenheit sorgt jedoch nicht nur für die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen, sondern beeinflusst ebenfalls die direkte Umgebungstemperatur der Rebe. Dichte Böden halten Wasser oft besser und halten die Erde deswegen kühler, was für Weine mit guter Säurestruktur sorgen kann mit grösserer Menge an Weinsteinsäure (tartaric acid). Die Bodenoberfläche kann wiederum das Mikroklima beeinflussen. Dunkle Böden absorbieren bspw. mehr Wärme am Tag und können damit die Temperatur in einer Parzelle erhöhen.

Schöne Aussichten

Zuletzt bleibt noch die Sonne als unbedingt notwendiges “Rebenfutter”. Die häufig zitierte Faustregel lautet hier: Je nördlicher, desto steiler der Hang. Das liegt am einfallenden Winkel der Sonnenstrahlen. Dabei spielt die Ausrichtung eines Rebbergs eine ebenso wichtige Rolle, weil diese entscheidet, wann und wie lange die Sonne die Reben erreicht und in welcher Intensität. Schlussendlich hat das Relief eines Weinbergs zusätzliche Konsequenzen. Sind die Hänge nicht nur steil, sondern auch „wellig“ kann dies zu Schattenwürfen führen oder einer mehr oder weniger starken Exposition zu Wind und Regen.

Faktorenverwebung

Ganz schön viele Faktoren, das ist schon klar, aber eben auch notwendig, um die Dynamik eines Orts in Bezug auf eine Rebe besser zu verstehen. Das Mikroklima rund um eine Rebe zusammen mit ihrem Untergrund bestimmen massgeblich, wie sich schlussendlich der Most aus den Trauben zusammensetzt. Mehr Sonne und eine gute Nährstoffversorgung wird im Resultat dunklere Trauben mit viel Zucker ergeben, dafür jedoch weniger Säure, es sei denn, der richtige Stein hockt drunter, der das Ganze wieder ausgleichen kann. Wovon wir noch gar nicht gesprochen haben, sind weitere geschmacksdefinierende Komponenten wie mikrobiologische Faktoren im Weinberg (Symbiosen mit Myzelien für eine bessere Wasser- und Nährstoffversorgung, Allelopahtien, also der sensorischen Wechselwirkung mit anderen Pflanzen und natürlich lebende Mikroorganismen im Boden etc.).

Passp-Ort

Wenn du dir die Dynamiken aller Faktoren miteinander vorstellst, also von Klima im Grossen und ganz Kleinen mit dem Boden und der tieferen Erde, dann wird einem schnell klar, wie sehr der Ort die Reben, ihre Trauben und damit auch den Wein beeinflusst. Kein Wunder geben viele Winzer in Frankreich daher keine Rebsorten an, sondern nur wo ihr Wein herkommt. Wenn du diese Denkart genauer erschliessen möchtest, finde heraus, auf welchen Böden deine Lieblingsweine wachsen, von welchem Makro- und Mikroklima sie beeinflusst werden. Fahr am besten hin und krieg ein Gefühl für den Ort. Vielleicht findest du viel mehr über die Gemeinsamkeiten deiner Lieblingsweine heraus, als nur ihre Sorte.

 

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