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Terroir breeds Terroir III – ecce homo: Wie der Wein wird, was der Mensch ist

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Nachdem wir uns mit den beiden Terroir-Standbeinen Pflanze und Ort auseinandergesetzt haben, überschreiten wir nun endgültig die schwammige Grenze von Natur zu Kultur. Denn anders als Rebe und Ort, sind es vor allem wiederholte, kontinuierliche Entscheidungen des Menschen, die den Wein zu dem machen, was er wird. Wie wir schon die beiden letzten Male gesehen haben, sind die drei Standbeine von Terroir viel dynamischer, als man sich dessen gemeinhin bewusst ist. Was den Mensch angeht, wird’s noch dynamischer, denn er beeinflusst mehr, als oberflächlich erwartet.

Welche Menschen, wieviel und wann?

Wenn wir Terroir sehr eng fassen, dann ist zweifellos der Winzer, der am unmittelbarsten betroffene Mensch. Er arbeitet und wohnt (in der Regel) unmittelbar dort, wo die Reben gedeihen und stammt nicht selten einer in der Region verwurzelten Familie. Doch ist dieser Mensch gleichzeitig ein Resultat seines Individuums, der ihn umgebenden Tradition – sei es Familie, Dorf, Region, etc. – als auch der allgemeinen Erwartungen ausserhalb seiner Umgebung, nämlich uns Konsumenten. Wein wurde nahezu von Beginn an nicht nur vor Ort konsumiert, sondern auch exportiert, man denke an die geharzten Weine Byzanz’ in der Spätantike über die Clairets Aquitaniens im Spätmittelalter. Dementsprechend wurde Wein nicht nur durch eine lokale, sondern ebenso durch eine weit entfernte Kultur und ihre Vorlieben bestimmt. 
Somit sind Menschen in Winzerbetrieben in einer Art Spannungsfeld zu verstehen, was mindestens einen Einfluss auf den Umgang mit der Rebe im Weinberg und der Traube im Keller haben wird. Besonders interessant sind Konstellationen, in denen Neulinge ohne „kulturellen Ballast“ sich an den Weinbau wagen. Doch was sind überhaupt die Faktoren, die der Mensch beeinflusst und über die er entscheiden muss?

Entscheidungen über Entscheidungen

Ort und Boden

Falls nicht schon ein bestehender Weinberg bearbeitet wird, ist der Standort und die dazu passende Rebe wohl das Erste, das bestimmt wird. Berücksichtigt werden muss ebenfalls, was das Endprodukt sein kann oder soll. Weinberge entstehen zunächst einmal dort, wo Reben überhaupt klimatisch wachsen können und – historisch gesehen jedenfalls – auf mageren Böden. Die fruchtbaren Böden waren seit jeher für den Getreide- und Gemüseanbau bestimmt. Will man weiter nördlich Reben anbauen, ist eine Hanglage sicher die bessere Wahl, denn die Sonnenstrahlen fallen so in einem günstigeren Winkel ein. Ist ein Ort eher feucht oder heiss, wird dies später die Wahl der Rebe, der Anbautechniken und des Arbeitskalenders bestimmen. Schlussendlich auch den jeweiligen Reifezeitpunkt prägen.

Rebe

Die Wahl der Rebe hängt neben den klimatischen Bedingungen ebenso vom Betrieb und dem gewünschten Endprodukt ab. Zum historischen Verständnis muss erwähnt sein, dass die strengen Monokulturen von heute, also parzellenweise reine Rebsorten, in vielen Regionen eher eine Neuerung der letzten rund 150 bis 200 Jahre ist. Je nach Region wurden oft mehrere Sorten mit unterschiedlichen Reifeperioden direkt nebeneinander gestockt. 

Will man einen kräftigen Rotwein in Mitteldeutschland produzieren, wird man eine entsprechend rote Rebsorte wählen, die mit weniger Sonne dennoch sehr extraktreiche Trauben produzieren kann, mit den Böden, die man zur Verfügung hat. 

Kultivierung

Anschliessend wird eine gewisse Stockdichte bestimmt, also wie nah aneinander werden die Reben aufgestockt (also: gepflanzt). Sind die Reben eng nebeneinander, wächst die Konkurrenz nach Nährstoffen und Wasser. So soll das Wurzelwachstum in die tiefen Bodenschichten motiviert werden. Sind sie aber zu dicht gestockt, kann der Wuchs der Pflanze beeinträchtigt werden, was wiederum einen Einfluss auf die anschliessende Pflege hat. Dabei kann die Stockdichte zwischen 4000 und 13000 Stöcken pro ha variieren. Ebenfalls ist die anschliessende Reberziehung davon abhängig – also wie die Reben schlussendlich wachsen soll. Wird sie an einem Spalier mit Draht erzogen, wie bei einem Cordon Royat- oder Guyot-Schnitt, an einem Pfahl, wie an der deutschen Mosel oder der nördlichen Rhône, ganz frei stehend als Gobelet, wie in Südfrankreich, Spanien oder dem Beaujolais oder gar als Pergola, wie im Tirol. Wie Wahl des Rebschnitts hängt auch davon ab, ob später auf manuelle Arbeit gesetzt wird oder Maschinen zum Einsatz kommen.

Diese Faktoren bestimmen den Metabolismus der Rebe und damit am Ende auch die Qualität und Eigenschaften der Traube. 

Vinifizierung

Schliesslich werden die Winzer und/oder Kellermeister entscheiden, wie die Trauben vinifiziert werden, deren Qualität und Eigenschaften sie mit ihren vorangegangenen Entscheidungen konstituiert haben. Entscheiden sie sich für regional typische Methoden, wie eine für das Beaujolais traditionelle macération carbonique oder wird eher modern mit Temperatur kontrollierten Stahltanks vergoren? Wie oft wird bei einer Maischegärung „pigiert“ (mit einem grossen Stock samt Platte am unteren Ende die Maische in den gärenden Most getaucht) oder eher „remontiert“ (gärender Most wird unten im Tank abgepumpt, um oben die Maische zu benetzen). Wird filtriert oder nicht – mit vorgängiger Collage (dem Binden der Schwebstoffe mittels Proteinen) oder lieber nicht? Wie schnell soll der Wein trinkreif sein? Für welchen Käufertyp ist der Wein gedacht?

Fremdbestimmungen

All die oben genannten Aspekte sind gleichzeitig zusätzlich mitbestimmt, ob der Betrieb nach Bio-Richtlinien, in Biodynamik oder gar als Naturweinbetrieb geführt wird. Einige Menschen im Weinbau werden das als auferlegte Regeln betrachten, wobei andere das als Mittel zur Rückkehr zu traditionellen Methoden im Anbau und der Verarbeitung erkennen. Das hängt auch davon ab, ab wann ein Winzer seine Tradition als solche begreift. Nach Mond und Sternen zu verfahren, wie bei biodynamischen Prinzipien, mag archaisch wirken, aber man hat wohl länger Wein nach kosmischen Zyklen hergestellt, als ohne. Das wird sich schlussendlich im Charakter eines Weins widerspiegeln. 

Genau hierin liegt ein nicht unwesentlicher Faktor, denn wir Konsumenten entscheiden mit unserem Kauf mit, wie das Endergebnis aussehen soll.

Unfassbarer Mensch mit einer unfassbaren Tradition

Tatsächlich wird Wein seit wohl mehr als 7000 Jahren hergestellt und von Beginn an von den Faktoren Rebe, Ort, Mensch markiert. Doch ist es wirklich eine Weinbautradition und ein Terroir, von dem wir ausgehen können. Die Vorstellung von einem starren Terroir steht in starkem Kontrast zu der Veränderlichkeit seiner Standbeine. 

Kultur und insbesondere Tradition betören uns mit Bildern von Kontinuität und Beständigkeit, obschon Traditionen und Kulturen, die sich nicht weiterentwickeln, unweigerlich eingehen würden. Auch die Erde erscheint unverwechselbar durch die Suggestion der Unveränderlichkeit. Indes verändern Erosion und unterirdische Mechanismen den Untergrund jedoch ständig. Das Klima bleibt nie gleich und die Reben wissen sich anzupassen, es sei denn, der Mensch beschleunigt und/oder steuert die Mutation zum Nutzen einer besseren Berechenbarkeit. Das Verständnis von Vinifizierungstechniken und ihre Handhabung hat sich mit Sicherheit allein in den letzten 50 Jahren erheblich verändert. Damit einhergehend müssen wir das Konzept von Terroir mindestens genauso veränderlich verstehen. Terroir sollte weit eher der Versuch sein, die Dynamik aller Faktoren in einem Begriff zusammenzufassen, als der Verführung dienen, einen starren Wert zu bilden. Das Faszinierende dabei bleibt jedoch, dass ein einmal begriffenes Terroir einen nie wieder verlässt. Wenn du einmal verinnerlicht hast, wie einige Weine einer Region schmecken und riechen, wirst du sie immer wiedererkennen, trotz aller Bewegung. Terroir ist der Kern selbst der Dynamik zwischen Ort, Pflanze und Mensch, der sich unverkennbar offenbaren kann, wenn du genau hinschmeckst.

 

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